Nulltoleranz für sexuelle Belästigung – jedes Jahr eine zentrale Forderung des feministischen Streiks. Doch Belästigung bleibt Alltag. Denn sexualisierte Gewalt ist tief in patriarchalen Machtstrukturen verwurzelt. Und das wahre Ausmass bleibt oft im Dunkeln.
Das Wichtigste im Überblick:
Über 90 Prozent der von sexueller Belästigung Betroffenen sind Frauen, das geht aus verschiedenen Studien hervor. 95 Prozent der Beschuldigten sind Männer. Das Hauptmotiv ist die Ausübung von Macht und Dominanz.
Sexistische Bemerkungen, Nachpfeifen, Versenden pornografischer Nachrichten: Sexuelle Belästigung kennt viele Formen – das macht es schwierig, sie eindeutig zu definieren und zu erfassen. Das zeigt sich auch in Kriminalstatistiken: Je nach verwendeter Definition gaben zwischen 20 und 60 Prozent der Frauen in der Schweiz an, schon einmal in ihrem Leben sexuelle Belästigung erlebt zu haben.
Die meisten Belästigungen ereignen sich nicht im Club, sondern auf offener Strasse, gefolgt vom öffentlichen Verkehr. Meistens handelt es sich dabei um anzügliche Gesten, verbale Äusserungen oder Berührungen.
Sexuelle Belästigung ist auch am Arbeitsplatz weit verbreitet. Über die Hälfte der Arbeitnehmenden haben laut einer Studie schon einmal in ihrem Berufsleben unerwünschte sexistische und sexuelle Verhaltensweisen erlebt. Frauen deutlich häufiger als Männer.
Häufig betroffen sind Arbeitnehmende in Branchen mit vielen Kundenkontakten wie in Pflegeheimen, Spitälern, Banken und Versicherungen.
Sexualisierte Gewalt beginnt oft früher, als viele denken: Jedes siebte Kind erlebt mindestens einmal sexuelle Übergriffe durch Erwachsene oder ältere Kinder. Im virtuellen Raum ist das Ausmass noch grösser. Auch bei Kindern gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede: Mädchen sind stärker betroffen als Jungen.
«War doch nur ein Scherz!»
«So schlimm war das doch gar nicht.»
Betroffenen wird oft unterstellt, sie reagierten überempfindlich auf einen Witz oder Flirtversuch. Doch: Sexuelle Belästigung ist keine Bagatelle. Sie ist eine klare Grenzüberschreitung, eine Verletzung der persönlichen Integrität – und sie ist strafbar.
Nur ein Bruchteil wird erfasst: In weniger als 20 Prozent der Fälle sexueller Belästigung erstatten Betroffene Anzeige. Die Gründe reichen von Scham und Angst vor Stigmatisierung bis hin zu mangelnder Sensibilisierung bei Polizei und Strafverfolgungsbehörden.
Gewalt gegen Frauen geschieht nicht nur im öffentlichen Raum, sondern auch in vermeintlichen Schutzräumen der eigenen vier Wände. Häusliche Gewalt ist eine der häufigsten Formen der geschlechtsspezifischen Gewalt und kommt in allen sozialen Schichten vor. Über 70 Prozent der gewaltbetroffenen Personen in der Schweiz sind Frauen und Mädchen.
Jede fünfte Frau erlebt einmal in ihrem Leben körperliche oder sexuelle Gewalt in der Partnerschaft. Alle zwei Wochen wird in der Schweiz eine Frau von ihrem (Ex-)Partner ermordet. Die Dunkelziffer ist gross, viele Fälle bleiben im Verborgenen.
Neben grossem Leid verursacht häusliche Gewalt auch hohe Kosten, welche die Gesellschaft als Ganzes zu tragen hat. Schätzungen zufolge belaufen sich die jährlichen Kosten auf rund 164 bis 287 Millionen Franken.
Studien deuten darauf hin, dass ein grosser Anteil an Frauen in ihrem Leben Sex gegen ihren Willen erlebt hat. Alleine bei einer Erhebung von gfs.bern mit 4500 befragten Frauen gab jede zehnte Frau an, sexuelle Handlungen gegen ihren Willen erlebt zu haben.
Mehr als die Hälfte berichtete, durch Gewalt – wie das Festhalten oder das Zufügen von Schmerzen – zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden zu sein. Beinahe die Hälfte der Betroffenen hat den Vorfall für sich behalten. Aus der Studie ging auch hervor, dass viele Frauen keine Beratungsstellen für Betroffene von sexualisierter Gewalt kennen.
Die hohe Dunkelziffer sowie die geringe Anzeigequote zeigen, dass es noch viel Aufklärungsarbeit, strukturelle Veränderungen sowie besseren Schutz für Betroffene braucht.
Niemand ist vor sexueller Gewalt geschützt – sie kann jeden treffen. Zusätzlich schwächt sie die Grundpfeiler für eine stabile Gesellschaft, weil sie ein Klima der Angst und Unterdrückung schafft. Wenn wir wegschauen oder schweigen, dann schützen wir nicht nur Täter, sondern tragen dazu bei, dass die Gewalt bestehen bleibt.
Die Folgen für Betroffene sind oft tiefgreifend. Neben dem grossen Leid verursacht Gewalt an Frauen auch Folgen auf volkswirtschaftlicher Ebene: Schätzungen aus dem Jahr 2004 zufolge verursacht sie allein in der Schweiz jährlich Kosten von mindestens 400 Millionen Franken. Berücksichtigt wurden dabei Ausgaben für Polizei, Justiz, Strafvollzug, Gesundheitsversorgung, Sozialleistungen, Opferhilfe sowie Forschung. Nicht inkludiert sind Kosten, die Unternehmen, Sozialversicherungen sowie die Betroffenen selbst tragen müssen.